Was ist „Gesundes Altern“?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert „Gesundes Altern“ nicht nur als die Abwesenheit von Krankheit, sondern als den Prozess der Entwicklung und Aufrechterhaltung der funktionalen Fähigkeit, die Wohlbefinden im Alter ermöglicht [1]. Diese funktionale Fähigkeit ist entscheidend dafür, ob wir die Dinge tun können, die uns wichtig sind. Sie umfasst die Fähigkeit, Grundbedürfnisse zu erfüllen, mobil zu sein, zu lernen und Entscheidungen zu treffen, soziale Beziehungen zu pflegen und einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Sie ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels zwischen unserer intrinsischen Kapazität – also der Summe unserer körperlichen und geistigen Fähigkeiten – und unserer Umwelt. Während genetische Faktoren eine Rolle spielen, wird der Großteil unserer Gesundheit im Alter durch unseren Lebensstil, unsere sozialen Umstände und unsere physische Umgebung geprägt. Die Geriatrie, die Lehre von den Krankheiten des alternden Menschen, fokussiert sich daher längst nicht mehr nur auf die Behandlung von Krankheiten, sondern zunehmend auf die Prävention und den Erhalt dieser funktionalen Fähigkeit.
Was zeigt die Evidenz?
Die wissenschaftliche Evidenz ist eindeutig: Ein proaktiver Lebensstil hat den größten Einfluss auf unsere Gesundheit im Alter. Ein systematischer Review von 56 Meta-Analysen, der die Wirksamkeit verschiedener Bewegungsinterventionen untersuchte, kommt zu dem Schluss, dass körperliche Aktivität wie ein „Wundermittel“ wirkt [2]. Insbesondere multimodale Trainingsprogramme, die Kraft, Ausdauer, Balance und Beweglichkeit kombinieren, zeigen die stärksten Effekte. Sie verbessern nicht nur die Muskelkraft und das Gleichgewicht signifikant, sondern reduzieren auch nachweislich das Risiko für Stürze – eine der größten Gefahren für die Selbstständigkeit im Alter. Die Forschung bestätigt, dass bereits moderate, aber regelmäßige Aktivität, wie sie die WHO mit mindestens 150 Minuten pro Woche empfiehlt, die körperliche und geistige Kapazität verbessert und das Risiko für zahlreiche chronische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes und sogar einige Demenzformen senkt.
Neben der Bewegung ist die Ernährung eine zentrale Säule. Eine an die mediterrane Ernährung angelehnte Kost, reich an pflanzlichen Lebensmitteln, gesunden Fetten aus Olivenöl und Nüssen sowie einer ausreichenden Proteinzufuhr (die PROT-AGE Studiengruppe empfiehlt für gesunde ältere Erwachsene 1,0-1,2g pro Kilogramm Körpergewicht [3]), ist nachweislich mit einer besseren kognitiven Funktion und einem geringeren Demenzrisiko verbunden [4, 5]. Auch die Knochengesundheit profitiert von einer adäquaten Versorgung mit Kalzium und Vitamin D.
Ein oft unterschätzter Faktor ist die soziale Teilhabe. Einsamkeit und soziale Isolation sind laut WHO ernstzunehmende Risikofaktoren für Depressionen, kognitiven Abbau und eine erhöhte Sterblichkeit [6]. Aktive soziale Einbindung, sei es in der Familie, im Freundeskreis oder durch ehrenamtliches Engagement, stärkt die mentale Widerstandsfähigkeit und trägt maßgeblich zum Wohlbefinden bei. Die Forschung zeigt hier, dass es weniger auf die Anzahl der Kontakte als auf deren Qualität ankommt.
Offen ist die Frage, welche spezifischen Interventionsformen für welche Subgruppen älterer Menschen am wirksamsten sind. Während die positiven Effekte von Bewegung, Ernährung und sozialer Teilhabe breit belegt sind, bedarf es weiterer Forschung, um personalisierte Empfehlungen, etwa für Menschen mit spezifischen Vorerkrankungen oder hohem Alter, zu optimieren.
Praxisbox: Aktiv im Herbst des Lebens
- Bewegung integrieren: Suchen Sie sich eine Aktivität, die Ihnen Freude bereitet. Ein täglicher Spaziergang, leichte Gymnastik, Tanzen oder Tai-Chi (nachweislich wirksam zur Sturzprävention) sind ideal. Jede Minute zählt!
- Kraft tanken: Bauen Sie zweimal wöchentlich gezieltes Krafttraining ein. Das geht auch zu Hause mit leichten Gewichten, Widerstandsbändern oder dem eigenen Körpergewicht (z.B. Kniebeugen am Stuhl).
- Bunt essen: Gestalten Sie Ihren Speiseplan reich an Gemüse, Obst, Vollkornprodukten und gesunden Fetten. Achten Sie auf ausreichend Protein zu jeder Mahlzeit, um die Muskelmasse zu erhalten.
- In Verbindung bleiben: Pflegen Sie aktiv soziale Kontakte. Regelmäßige Telefonate, Verabredungen oder die Teilnahme an Gruppenaktivitäten können Einsamkeit vorbeugen und die mentale Stärke fördern.
Sicherheitsbox: Sicher aktiv bleiben
- Ärztliche Rücksprache: Bevor Sie mit einem neuen, intensiven Trainingsprogramm beginnen, insbesondere bei bestehenden chronischen Erkrankungen (z.B. Herzerkrankungen, starker Arthrose), sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin.
- Auf den Körper hören: Überfordern Sie sich nicht. Eine leichte Anstrengung ist gut, Schmerz ist ein Warnsignal. Passen Sie die Intensität Ihrer körperlichen Verfassung an.
- Stolperfallen beseitigen: Gestalten Sie Ihr Zuhause sicher, um Stürze zu vermeiden. Entfernen Sie lose Teppiche, sorgen Sie für gute Beleuchtung und nutzen Sie bei Bedarf Gehhilfen.
- Nahrungsergänzung mit Bedacht: Eine Supplementierung von Vitaminen (z.B. Vitamin D) oder Protein sollte gezielt und idealerweise nach Rücksprache mit einem Arzt oder Ernährungsberater erfolgen.
Fazit: Die Kunst des gesunden Alterns
Gesund zu altern ist ein aktiver Prozess und eine realistische Chance für die meisten von uns. Es bedeutet nicht, dem Alterungsprozess entfliehen zu wollen, sondern ihn bewusst zu gestalten. Die wissenschaftliche Evidenz zeigt klar, dass wir durch einen aktiven Lebensstil mit regelmäßiger Bewegung, einer ausgewogenen Ernährung und einem stabilen sozialen Netz unsere funktionale Fähigkeit und damit unsere Lebensqualität und mentale Stärke bis ins hohe Alter erhalten können. Diese Maßnahmen sind keine Garantie für ein Leben ohne Beschwerden, aber sie sind die wirksamste bekannte Strategie, um die gewonnenen Lebensjahre mit Gesundheit, Sinn und Freude zu füllen – eine Investition, die sich jeden Tag auszahlt.
Hinweis: Dieser Beitrag informiert und ersetzt keine medizinische Beratung oder Behandlung.
Quellen & Forschungsstand
- World Health Organization (WHO). (2022). Ageing and health. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/ageing-and-health (Zentrale Fakten und Definitionen zum Thema „Gesundes Altern“ von der führenden globalen Gesundheitsbehörde.)
- Di Lorito, C., et al. (2020). Exercise interventions for older adults: A systematic review of meta-analyses. Journal of Sport and Health Science, 10(1), 29–47. https://doi.org/10.1016/j.jshs.2020.06.003 (Umfassende Übersichtsarbeit, die die Evidenz aus 56 Meta-Analysen zu Bewegung im Alter zusammenfasst und die wirksamsten Trainingsformen identifiziert.)
- Bauer, J., et al. (PROT-AGE Study Group). (2013). Evidence-based recommendations for optimal dietary protein intake in older people: a position paper from the PROT-AGE Study Group. Journal of the American Medical Directors Association, 14(8), 542–559. https://doi.org/10.1016/j.jamda.2013.05.021 (Das Positionspapier der PROT-AGE Gruppe, das evidenzbasierte Empfehlungen zur Proteinzufuhr für ältere Menschen gibt und einen höheren Bedarf postuliert.)
- Valls-Pedret, C., et al. (2015). Mediterranean Diet and Age-Related Cognitive Decline: A Randomized Clinical Trial. JAMA Internal Medicine, 175(7), 1094–1103. https://doi.org/10.1001/jamainternmed.2015.1668 (Eine randomisiert-kontrollierte Studie, die zeigt, dass eine mediterrane Diät, ergänzt mit Olivenöl oder Nüssen, die kognitive Funktion bei älteren Menschen verbessert.)
- Tessier, A. J., et al. (2025). Optimal dietary patterns for healthy aging. Nature Medicine. https://www.nature.com/articles/s41591-025-03570-5 (Aktuelle Forschung, die pflanzenbasierte Ernährungsweisen mit moderatem Anteil gesunder tierischer Produkte für gesundes Altern empfiehlt.)
- National Institute on Aging (NIA). (2024). Loneliness and Social Isolation — Tips for Staying Connected. https://www.nia.nih.gov/health/loneliness-and-social-isolation/loneliness-and-social-isolation-tips-staying-connected (Zusammenfassung der gesundheitlichen Risiken von Einsamkeit und Isolation sowie praktische Tipps zur Prävention von einer führenden US-Forschungseinrichtung.)