Brustkrebs: Früherkennung rettet Leben

Der Oktober gilt als Brustkrebsmonat – eine Zeit, in der weltweit auf die Bedeutung der Früherkennung aufmerksam gemacht wird. Doch während die einen das Mammographie-Screening als Lebensretter feiern, warnen andere vor Überdiagnosen und unnötigen Behandlungen. Was sagt die Wissenschaft wirklich?

Der Herbst ist eine Zeit der Einkehr und der Vorsorge. Wenn die Blätter fallen, rückt die eigene Gesundheit oft wieder stärker in den Fokus. Im Oktober leuchten uns überall rosa Schleifen entgegen, ein globales Symbol für den Kampf gegen Brustkrebs. Es ist der Monat, in dem Aufklärungskampagnen auf Hochtouren laufen und viele Frauen ihre Einladung zum Mammographie-Screening erhalten. Die Botschaft scheint klar: Früherkennung rettet Leben. Doch hinter dieser einfachen Formel verbirgt sich eine der komplexesten Debatten der modernen Medizin. Die Frage, ob das Mammographie-Screening mehr schadet als nützt, spaltet Experten und verunsichert Frauen. Dieser Artikel will die Fakten sachlich einordnen und eine Brücke bauen – zwischen der Hoffnung auf Heilung und den realen Risiken der Früherkennung.

Die Zahlen: Brustkrebs in Deutschland

Brustkrebs ist eine Realität, die viele Familien betrifft. Mit rund 74.500 Neuerkrankungen pro Jahr allein bei Frauen in Deutschland ist das Mammakarzinom die mit Abstand häufigste Krebserkrankung des weiblichen Geschlechts, wie Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigen [3]. Statistisch gesehen erkrankt eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens daran. Diese Zahlen verdeutlichen die Dringlichkeit, wirksame Strategien zur Bekämpfung der Krankheit zu finden. Gleichzeitig gibt es Grund zur Hoffnung: Die Sterberaten sinken seit Ende der 1990er Jahre kontinuierlich. Heute liegt die relative 5-Jahres-Überlebensrate bei beeindruckenden 88 Prozent. Dieser Erfolg ist vor allem auf die erheblichen Fortschritte in der Krebstherapie zurückzuführen. Doch welchen Anteil hat die Früherkennung an dieser positiven Entwicklung?

Wie funktioniert das Mammographie-Screening?

Das Mammographie-Screening ist eine Röntgenuntersuchung der Brust, die darauf abzielt, Tumoren zu entdecken, bevor sie tastbar sind oder andere Symptome verursachen. Die Idee dahinter ist einfach: Je früher ein Tumor entdeckt wird, desto schonender kann er behandelt werden und desto besser sind die Heilungschancen. In Deutschland wurde das qualitätsgesicherte Screening-Programm zwischen 2005 und 2009 flächendeckend eingeführt. Es richtet sich an Frauen ohne Symptome und wurde kürzlich erweitert: Seit dem 1. Juli 2024 haben alle Frauen zwischen 50 und 75 Jahren alle zwei Jahre Anspruch auf diese Untersuchung [7]. Um eine hohe Qualität zu gewährleisten, wird jede Aufnahme von zwei spezialisierten Ärzten unabhängig voneinander befundet.

Der Nutzen: Was kann Früherkennung leisten?

Der zentrale Nutzen des Screenings liegt in der Möglichkeit, Brustkrebs in einem früheren, oft besser behandelbaren Stadium zu finden. Das RKI stellt fest, dass in der Altersgruppe des Screenings tatsächlich weniger Frauen an fortgeschrittenen Tumoren erkranken als vor dessen Einführung [3]. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob dies auch zu weniger Todesfällen führt. Hier wird die wissenschaftliche Evidenz komplex. Eine umfassende Analyse der Cochrane Collaboration, die als Goldstandard für evidenzbasierte Medizin gilt, kam 2013 zu einem ernüchternden Ergebnis: Die am besten durchgeführten Studien zeigten keine statistisch signifikante Reduktion der Brustkrebsmortalität [1]. Berücksichtigt man alle verfügbaren randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), auch die mit methodischen Schwächen, ergibt sich eine geschätzte Reduktion der Brustkrebssterblichkeit von etwa 15 bis 20 Prozent. Ein unabhängiges britisches Expertengremium um Sir Michael Marmot schätzte die Reduktion auf 20 Prozent, wies aber ebenfalls auf erhebliche Unsicherheiten hin [2].

Was bedeuten diese Prozentzahlen konkret? Die Cochrane-Autoren rechnen es so vor: Wenn 2.000 Frauen über einen Zeitraum von 10 Jahren regelmäßig am Screening teilnehmen, wird eine von ihnen davor bewahrt, an Brustkrebs zu sterben [1]. Dieses eine gerettete Leben ist ein unschätzbarer Gewinn. Doch ihm stehen Risiken gegenüber, die jede Frau kennen sollte.

Die Risiken: Überdiagnose und falsch-positive Befunde

Das größte Risiko des Screenings ist die sogenannte Überdiagnose. Damit ist nicht gemeint, dass ein Tumor fälschlicherweise diagnostiziert wird. Vielmehr werden Karzinome entdeckt, die ohne das Screening nie zu gesundheitlichen Problemen geführt hätten, weil sie sehr langsam wachsen oder gar nicht weiterwachsen. Das Problem ist, dass die Medizin derzeit nicht sicher zwischen diesen „harmlosen“ und den aggressiven, behandlungsbedürftigen Tumoren unterscheiden kann. Aus Sicherheitsgründen wird daher jeder gefundene Tumor behandelt. Das Ausmaß der Überdiagnose ist schwer zu beziffern. Die Schätzungen reichen von 11 Prozent (Marmot-Review) bis zu 30 Prozent (Cochrane-Review) aller im Screening entdeckten Karzinome [1, 2].

Für die betroffenen Frauen bedeutet eine Überdiagnose eine unnötige Konfrontation mit der Diagnose Krebs, unnötige Operationen, Bestrahlungen und möglicherweise medikamentöse Therapien – mit allen damit verbundenen körperlichen und seelischen Belastungen. Hinzu kommt das Problem der falsch-positiven Befunde. Hierbei zeigt die Mammographie einen verdächtigen Befund, der sich nach weiteren Untersuchungen – wie Ultraschall oder Biopsie – als harmlos herausstellt. Die Cochrane-Analyse schätzt, dass von 2.000 Frauen über 200 mindestens einmal eine solche Phase der Angst und Unsicherheit durchleben [1].

Kontroversen & offene Fragen

Die Debatte um das Mammographie-Screening ist von wissenschaftlichen Kontroversen geprägt, die ehrlich benannt werden müssen. Ein zentraler Streitpunkt ist die methodische Qualität der zugrundeliegenden Studien, von denen viele bereits Jahrzehnte alt sind. Kritiker wie die Autoren des Cochrane-Reviews argumentieren, dass nur die allerbesten Studien aussagekräftig sind – und diese zeigen eben keinen klaren Nutzen [1]. Andere Expertengremien halten es für gerechtfertigt, eine breitere Evidenzbasis heranzuziehen [2, 5].

Ein weiterer offener Punkt ist die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf heutige Screening-Programme und die moderne Krebstherapie. Da die Behandlung von Brustkrebs so viel besser geworden ist, könnte der zusätzliche Nutzen der Früherkennung heute geringer sein als in den alten Studien. Oder aber, Früherkennung und moderne Therapie ergänzen sich und verstärken ihren jeweiligen Nutzen. Die Wissenschaft hat darauf noch keine endgültige Antwort. Auch die Ausweitung der Altersgrenzen, wie in Deutschland auf 70 bis 75 Jahre, beruht auf einer politischen Entscheidung, für die die wissenschaftliche Evidenz noch begrenzt ist [6, 7].

Informierte Entscheidung: Was bedeutet das für Frauen?

Angesichts dieser komplexen Faktenlage gibt es keine einfache Ja- oder Nein-Antwort auf die Frage nach dem Mammographie-Screening. Es ist eine zutiefst persönliche Abwägung von Nutzen und Schaden. Keine Frau kann im Voraus wissen, ob sie die eine sein wird, deren Leben gerettet wird, oder eine der zehn, die unnötig behandelt werden. Die Teilnahme am Screening ist daher freiwillig, und es entstehen keinerlei Nachteile bei der Krankenversicherung, wenn man sich dagegen entscheidet. Der wichtigste Schritt ist, sich umfassend zu informieren und eine Entscheidung zu treffen, die sich für einen selbst richtig anfühlt. Ein Gespräch mit der Frauenärztin oder dem Frauenarzt kann dabei helfen, das persönliche Risikoprofil besser einzuschätzen und die eigene Situation zu beleuchten.

Mentale Stärke im Umgang mit Unsicherheit

Der gesunde Herbst, den wir uns alle wünschen, ist nicht nur eine Frage der körperlichen, sondern auch der mentalen Stärke. Der Umgang mit medizinischer Unsicherheit ist eine Herausforderung. Eine informierte Entscheidung zu treffen, stärkt die Selbstwirksamkeit und das Vertrauen in die eigene Urteilskraft. Es ist ein Ausdruck von Autonomie, zu akzeptieren, dass die Wissenschaft nicht auf alle Fragen eine endgültige Antwort hat. Es geht darum, einen Weg zu finden, der mit den eigenen Werten und der eigenen Risikobereitschaft im Einklang steht – sei es die Entscheidung für oder gegen das Screening.

Kurz erklärt: Überdiagnose – was ist das?

Von Überdiagnose spricht man, wenn durch Screening Karzinome entdeckt werden, die ohne Früherkennung nie Symptome verursacht oder zum Tod geführt hätten. Es handelt sich nicht um eine falsche Diagnose – der Tumor ist real. Das Problem: Derzeit können wir nicht unterscheiden, welche Tumoren behandlungsbedürftig sind und welche nicht. Daher werden alle entdeckten Karzinome behandelt, was bei Überdiagnosen zu unnötigen Operationen, Strahlentherapie und psychischer Belastung führt.

Fazit

Das Mammographie-Screening ist ein zweischneidiges Schwert. Es bietet die Chance, Leben zu verlängern, aber es birgt auch reale Risiken in Form von Überdiagnosen und falsch-positiven Befunden. Die anhaltende wissenschaftliche Debatte zeigt, wie komplex die moderne Medizin ist und dass es selten einfache Antworten gibt. Die Zukunft der Früherkennung liegt in einer besseren, personalisierten Risikobewertung, um gezielter jene Frauen zu identifizieren, die am meisten vom Screening profitieren. Bis dahin bleibt die informierte Entscheidung der beste Weg. Sie ist kein Misstrauensvotum gegen die Medizin, sondern der Ausdruck eines mündigen Umgangs mit der eigenen Gesundheit.

Hinweis: Dieser Beitrag informiert und ersetzt keine medizinische Beratung oder Behandlung.

Quellen & Forschungsstand

  1. Gøtzsche PC, Jørgensen KJ (2013): Screening for breast cancer with mammography. Cochrane Database of Systematic Reviews. Diese Meta-Analyse von acht randomisierten kontrollierten Studien mit 600.000 Frauen ist eine der kritischsten Bewertungen. Sie kommt zu dem Schluss, dass die besten Studien keinen signifikanten Mortalitätsnutzen zeigen und betont das hohe Risiko der Überdiagnose. DOI: 10.1002/14651858.CD001877.pub5
  2. Marmot MG et al. (2013): The benefits and harms of breast cancer screening: an independent review. British Journal of Cancer. Ein von britischen Gesundheitsbehörden in Auftrag gegebenes unabhängiges Review, das eine Mortalitätsreduktion von ca. 20% als beste Schätzung ansieht, aber auch die Unsicherheiten und das Problem der Überdiagnose (ca. 19%) klar benennt. DOI: 10.1038/bjc.2013.177
  3. Robert Koch-Institut / Zentrum für Krebsregisterdaten (2024): Brustkrebs (Mammakarzinom). Die offizielle deutsche Krebsstatistik liefert die nationalen Zahlen zu Neuerkrankungen, Mortalität und Überlebensraten und bewertet die Auswirkungen des Screening-Programms in Deutschland. URL: https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Brustkrebs/brustkrebs_node.html
  4. Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) (2024): Brustkrebs: Früherkennung durch Abtasten und Mammographie. Eine umfassende und verständliche Informationsquelle für Patientinnen, die das deutsche Früherkennungsprogramm, dessen Nutzen und Risiken detailliert beschreibt. URL: https://www.krebsinformationsdienst.de/brustkrebs/frueherkennung
  5. Nelson HD et al. (2016): Effectiveness of Breast Cancer Screening: Systematic Review and Meta-analysis to Update the 2009 U.S. Preventive Services Task Force Recommendation. Annals of Internal Medicine. Eine weitere wichtige Meta-Analyse, die zu dem Schluss kommt, dass die Mortalität generell gesenkt wird, die Effekte aber je nach Altersgruppe variieren und nicht immer statistisch signifikant sind. DOI: 10.7326/M15-0969
  6. Canelo-Aybar C et al. (2021): Benefits and harms of breast cancer mammography screening for women at average risk of breast cancer: A systematic review and meta-analysis. PLoS One. Ein systematischer Review, der den Konsens für die Altersgruppe 50-69 Jahre bestätigt, die Nutzen-Schaden-Abwägung in anderen Altersgruppen aber als kontrovers einstuft. DOI: 10.1371/journal.pone.0246356
  7. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) (2023): Beschluss zur Ausweitung des Mammographie-Screenings. Die offizielle Entscheidungsgrundlage für die Anhebung der oberen Altersgrenze für das Screening in Deutschland auf 75 Jahre, in Kraft getreten zum 1. Juli 2024. URL: https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/1133/