Schröpfen: Altes Heilverfahren bei Schmerzen und Verspannungen neu betrachtet

Seit Jahrtausenden nutzen Kulturen weltweit das Schröpfen, um Schmerzen zu lindern und Verspannungen zu lösen. Heute erlebt diese traditionelle Methode eine Renaissance und wird oft im Kontext von Naturheilkunde und Schmerztherapie angewendet. Doch was steckt wirklich hinter dem Verfahren mit den gläsernen Saugglocken und was sagt die moderne Wissenschaft dazu?

Was ist Schröpfen?

Schröpfen ist ein traditionelles Heilverfahren, das zu den sogenannten Ausleitungsverfahren der Naturheilkunde zählt. Dabei werden Schröpfgläser, meist aus Glas oder Kunststoff, auf die Haut gesetzt und ein Unterdruck erzeugt. Dieser Unterdruck saugt die Haut und das darunterliegende Gewebe an, was die Durchblutung anregt und tiefere Schichten des Körpers stimuliert. Die Methode wird seit über 5.000 Jahren in verschiedenen Kulturen, von Ägypten über China bis nach Europa, zur Behandlung einer Vielzahl von Beschwerden eingesetzt, insbesondere bei Schmerzen und Verspannungen des Bewegungsapparates, wie sie häufig bei Rückenschmerzen auftreten.

Man unterscheidet hauptsächlich drei Arten des Schröpfens: das trockene Schröpfen, die Schröpfkopfmassage und das blutige Schröpfen. Beim trockenen Schröpfen verbleiben die Gläser für etwa 10 bis 15 Minuten auf der Haut. Bei der Schröpfkopfmassage wird die Haut zuvor eingeölt, sodass die Gläser über die verspannten Muskelpartien bewegt werden können. Das blutige Schröpfen, bei dem die Haut vor dem Aufsetzen der Gläser leicht angeritzt wird, um Blut auszuleiten, ist eine invasive Methode, die ausschließlich von erfahrenen Therapeuten durchgeführt werden darf.

Die Wirkung des Schröpfens wird heute oft mit der Stimulation der Faszien in Verbindung gebracht. Faszien sind das bindegewebige Netzwerk, das Muskeln, Organe und Knochen umhüllt und miteinander verbindet. Man vermutet, dass der Unterdruck Verklebungen in den Faszien lösen, die lokale Durchblutung und den Lymphfluss verbessern und so zur Schmerzlinderung beitragen kann. Diese Mechanismen könnten auch erklären, warum Schröpfen als wohltuend und entspannend empfunden wird, was gerade im Herbst, wenn nasskaltes Wetter und weniger Bewegung zu Verspannungen führen, zur mentalen Stärke beitragen kann.

Was zeigt die Evidenz?

Die wissenschaftliche Studienlage zum Schröpfen ist komplex und von unterschiedlicher Qualität. Eine systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse aus dem Jahr 2020, veröffentlicht im Journal of Pain, fasste die Ergebnisse von 18 randomisierten kontrollierten Studien mit über 1.100 Patienten mit chronischen Schmerzen zusammen [1]. Die Analyse zeigte, dass Schröpfen im Vergleich zu keiner Behandlung kurzfristig zu einer deutlichen Linderung der Schmerzintensität und einer Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit führte. Allerdings fanden die Forscher keinen signifikanten Unterschied, wenn sie das Schröpfen mit einer Scheinbehandlung (Sham-Schröpfen) verglichen. Dies deutet darauf hin, dass unspezifische Effekte, wie der Placebo-Effekt oder die Erwartungshaltung des Patienten, eine wesentliche Rolle für die wahrgenommene Wirkung spielen könnten.

Eine neuere „Evidence-Mapping“-Studie aus dem Jahr 2023, die in Frontiers in Neurology publiziert wurde, analysierte 14 Meta-Analysen und kam zu einem ähnlichen Schluss [2]. Die Autoren fanden Hinweise darauf, dass Schröpfen bei verschiedenen Schmerzarten wie chronischen Rücken- und Nackenschmerzen sowie Kniearthrose wirksam sein könnte. Gleichzeitig bemängelten sie die methodische Qualität der meisten eingeschlossenen Studien, die von „sehr niedrig“ bis „moderat“ reichte. Hochwertige Studien, die eine klare Überlegenheit des Schröpfens gegenüber Placebo-Behandlungen belegen, fehlen bislang.

Die postulierten Wirkmechanismen, wie die Lösung von Faszienverklebungen, die Anregung der Durchblutung und die Aktivierung von schmerzhemmenden Nervenbahnen, sind biologisch plausibel, aber noch nicht abschließend durch klinische Studien am Menschen bestätigt [3]. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die aktuelle Evidenz (Evidenzampel: GELB) zwar auf eine potenzielle Wirksamkeit des Schröpfens in der Schmerztherapie hindeutet, die Ergebnisse aber mit Vorsicht zu interpretieren sind. Es bedarf weiterer Forschung, um die spezifischen Effekte von den unspezifischen zu trennen und die genauen Wirkmechanismen zu klären.

Praxisbox: Schröpfen sicher anwenden

  • Starten Sie sanft: Wenn Sie Schröpfen zur Selbstbehandlung ausprobieren, beginnen Sie mit kurzen Anwendungen von 5–10 Minuten und geringem Unterdruck, um die Hautreaktion zu beobachten.
  • Schröpfmassage bei Verspannungen: Bei Muskelverspannungen im Rücken oder Nacken kann eine sanfte Schröpfmassage mit Öl wohltuender sein als das statische Aufsetzen der Gläser.
  • Auf den Körper hören: Die Anwendung sollte sich angenehm anfühlen. Bei Schmerzen, starkem Unwohlsein oder Schwindel die Behandlung sofort abbrechen.
  • Professionelle Hilfe suchen: Bei starken oder unklaren Schmerzen sowie für das blutige Schröpfen ist die Behandlung durch einen erfahrenen Therapeuten (Arzt, Heilpraktiker) unerlässlich.

Sicherheitsbox: Risiken und Kontraindikationen

  • Häufige Nebenwirkungen: Typisch sind runde Blutergüsse (Hämatome), die nach einigen Tagen von selbst verschwinden. Seltener können leichte Schmerzen, Schwindel oder Hautreizungen auftreten.
  • Absolute Kontraindikationen: Schröpfen darf nicht auf offenen Wunden, frischen Verletzungen, entzündeter Haut, Krampfadern, bei akuten Infektionen oder Fieber angewendet werden.
  • Vorsicht bei Vorerkrankungen: Personen, die gerinnungshemmende Medikamente einnehmen, an einer Blutgerinnungsstörung (z. B. Hämophilie) oder einer Krebserkrankung leiden, sollten auf das Schröpfen verzichten. Auch in der Schwangerschaft ist Vorsicht geboten.
  • Rechtlicher Hinweis: Schröpfen ist eine komplementärmedizinische Methode. Die Behandlung sollte nur von qualifizierten Fachpersonen durchgeführt werden, die eine umfassende Anamnese erheben und über mögliche Risiken aufklären.

Fazit

Schröpfen ist ein faszinierendes, altes Heilverfahren, das vielen Menschen mit Muskelverspannungen und chronischen Schmerzen Linderung verschaffen kann. Während die wissenschaftliche Evidenz für eine spezifische, über Placebo-Effekte hinausgehende Wirkung noch begrenzt ist, deuten Studien auf eine kurzfristige Verbesserung von Schmerzen und Beweglichkeit hin. Die Methode gilt bei korrekter Anwendung als sicher und nebenwirkungsarm. Als ergänzende Maßnahme im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes zur Förderung von Wohlbefinden und mentaler Stärke kann Schröpfen eine wertvolle Option sein. Es sollte jedoch nicht als Ersatz für eine ärztlich diagnostizierte und behandelte Therapie, sondern als unterstützende Komponente verstanden werden.

Hinweis: Dieser Beitrag informiert und ersetzt keine medizinische Beratung oder Behandlung.

Quellen & Forschungsstand

  1. Cramer, H. et al. (2020). Cupping for Patients With Chronic Pain: A Systematic Review and Meta-Analysis. The Journal of Pain, 21(9-10), 943–956. Diese Meta-Analyse fasst die Evidenz aus 18 Studien zusammen und zeigt einen signifikanten Effekt im Vergleich zu keiner Behandlung, aber nicht im Vergleich zu Schein-Schröpfen. https://doi.org/10.1016/j.jpain.2020.01.002
  2. Wang, L. et al. (2023). Efficacy of cupping therapy on pain outcomes: an evidence-mapping study. Frontiers in Neurology, 14, 1266712. Diese Studie kartiert die vorhandene Evidenz und kommt zum Schluss, dass die Qualität der meisten Studien gering bis moderat ist, aber dennoch auf eine Wirksamkeit bei bestimmten Schmerzarten hindeutet. https://doi.org/10.3389/fneur.2023.1266712
  3. Furhad, S. & Bokhari, A. A. (2023). Cupping Therapy. In StatPearls. StatPearls Publishing. Dieser Artikel bietet eine umfassende Übersicht über die Anwendung, Kontraindikationen und potenziellen Nebenwirkungen des Schröpfens aus medizinischer Sicht. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK538253/