Welternährungstag: Was ist Mangelernährung und warum betrifft sie auch uns?

Am 16. Oktober ist Welternährungstag. Dieser Tag erinnert uns daran, dass der Zugang zu ausreichender und nahrhafter Nahrung ein Menschenrecht ist. Doch während viele bei Hunger an ausgemergelte Körper in fernen Ländern denken, existiert eine subtilere Form der Ernährungsstörung mitten unter uns, auch in reichen Industrienationen: die Mangelernährung. Sie betrifft nicht nur, aber besonders, ältere Menschen und Kinder und kann weitreichende Folgen für die körperliche und mentale Gesundheit haben.

Was ist Mangelernährung?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Mangelernährung als ein Ungleichgewicht in der Nährstoffzufuhr einer Person, das von Defiziten über Exzesse bis hin zu einem Ungleichgewicht an essentiellen Nährstoffen reicht [1]. Es ist ein breiter Begriff, der drei Hauptzustände umfasst: die Unterernährung (Wasting, Stunting, Untergewicht), die Mikronährstoff-Mangelernährung (ein Mangel an wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen) und die Überernährung (Übergewicht, Adipositas und ernährungsbedingte nichtübertragbare Krankheiten). Eine Fehlernährung kann also auch bei normal- oder sogar übergewichtigen Menschen vorliegen, wenn die Zufuhr an lebenswichtigen Mikronährstoffen wie Vitaminen und Mineralien unzureichend ist. Dieses Phänomen wird oft als „versteckter Hunger“ bezeichnet und ist gerade in Industrieländern ein wachsendes Problem [2].

Was zeigt die Evidenz?

Die wissenschaftliche Evidenz zeigt, dass Mangelernährung ein globales Problem mit ernsten Konsequenzen ist. Laut WHO waren 2022 weltweit schätzungsweise 149 Millionen Kinder unter fünf Jahren von Stunting (Wachstumsverzögerung) betroffen, während fast die Hälfte aller Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren mit Unterernährung in Verbindung gebracht wird [1]. Doch das Problem ist nicht auf Entwicklungsländer beschränkt. Eine Übersichtsarbeit im Fachjournal The Lancet betont die hohe Prävalenz von Mangelernährung bei älteren Erwachsenen in Industrieländern, die durch altersbedingte physiologische Veränderungen, sozialen Rückzug und Begleiterkrankungen besonders gefährdet sind [3].

Die Symptome einer Mangelernährung sind oft unspezifisch. Unbeabsichtigter Gewichtsverlust ist ein Hauptindikator, aber auch ständige Müdigkeit, Schwäche, eine erhöhte Infektanfälligkeit, schlechte Wundheilung und Konzentrationsstörungen können Anzeichen sein [4]. Besonders im Herbst, wenn die Tage kürzer werden und das Immunsystem gefordert ist, kann eine unzureichende Versorgung mit Nährstoffen die Anfälligkeit für Infekte erhöhen und die mentale Stärke beeinträchtigen, was sich in depressiven Verstimmungen äußern kann.

Die Diagnose stützt sich auf Screening-Instrumente wie das Malnutrition Universal Screening Tool (MUST) oder das Mini Nutritional Assessment (MNA). Allerdings ist die Evidenz zur Genauigkeit dieser Tools uneinheitlich, und es gibt Hinweise darauf, dass sie in bestimmten Patientengruppen, wie älteren hospitalisierten Menschen, nicht ausreichend empfindlich sind [5]. Leitlinien, wie die der Europäischen Gesellschaft für Klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN), empfehlen daher eine sorgfältige Überwachung und individualisierte Ernährungsstrategien, insbesondere bei kranken und älteren Menschen [6]. Die Behandlung reicht von Ernährungsberatung über angereicherte Lebensmittel bis hin zu Trinknahrung oder, in schweren Fällen, künstlicher Ernährung. Die Evidenz für die Wirksamkeit von oralen Nahrungsergänzungsmitteln zur Verbesserung klinischer Ergebnisse wie Mortalität und Wiederaufnahmeraten ins Krankenhaus ist robust [7].

Praxisbox: Was Sie tun können

  • Achten Sie auf eine nährstoffreiche Ernährung: Bevorzugen Sie vollwertige Lebensmittel wie Gemüse, Obst, Vollkornprodukte und hochwertige Proteine. Gerade im Herbst unterstützen saisonale Gemüsesorten wie Kürbis, Rote Bete und verschiedene Kohlsorten die Nährstoffversorgung.
  • Beobachten Sie Ihr Gewicht: Ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust von mehr als 5% in 3-6 Monaten ist ein Warnsignal. Sprechen Sie in diesem Fall mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin.
  • Achten Sie auf Symptome: Anhaltende Müdigkeit, Appetitlosigkeit oder häufige Infekte können auf einen Mangel hindeuten. Dies gilt besonders für ältere Angehörige und Kinder.
  • Suchen Sie professionelle Hilfe: Bei Verdacht auf Mangelernährung oder einen spezifischen Vitaminmangel ist eine ärztliche Abklärung und eine professionelle Ernährungsberatung der richtige Weg.

Sicherheitsbox: Risiken und wichtige Hinweise

  • Refeeding-Syndrom: Bei schwer mangelernährten Personen kann eine zu schnelle und aggressive Wiederaufnahme der Nahrungszufuhr lebensgefährlich sein. Das sogenannte Refeeding-Syndrom kann zu schweren Elektrolytverschiebungen und Herz-Kreislauf-Versagen führen. Eine Ernährungstherapie muss daher immer ärztlich begleitet werden [8].
  • Vorsicht bei Nahrungsergänzungsmitteln: Eine unkontrollierte Einnahme von hochdosierten Vitaminen und Mineralstoffen kann toxisch sein. Holen Sie vor der Einnahme ärztlichen Rat ein.
  • Keine Selbstdiagnose: Die Symptome einer Mangelernährung sind unspezifisch. Eine ärztliche Diagnose ist unerlässlich, um andere Erkrankungen auszuschließen.
  • Rechtlicher Hinweis: Dieser Artikel dient nur der Information und ersetzt keine ärztliche Beratung. Bei gesundheitlichen Beschwerden konsultieren Sie bitte immer einen Arzt oder eine Ärztin.

Fazit

Mangelernährung ist ein komplexes Problem, das weit über die reine Kalorienzufuhr hinausgeht und auch in unserer Überflussgesellschaft eine relevante Gefahr darstellt. Eine bewusste, nährstoffreiche Ernährung ist ein zentraler Baustein für körperliches Wohlbefinden und mentale Stärke, besonders im anspruchsvollen Herbst. Der Welternährungstag ist ein wichtiger Anlass, um das Bewusstsein für die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung zu schärfen und auf die stillen Anzeichen eines Mangels zu achten – bei sich selbst und bei den Menschen, die uns am Herzen liegen. Eine adäquate Ernährung ist eine Ergänzung, aber kein Ersatz für eine umfassende medizinische Betreuung.

Hinweis: Dieser Beitrag informiert und ersetzt keine medizinische Beratung oder Behandlung.

Quellen & Forschungsstand

  1. WHO (2024). Fact sheets – Malnutrition. Eine umfassende Übersicht der Weltgesundheitsorganisation, die Definitionen, Formen und die globale Tragweite von Mangelernährung darlegt. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/malnutrition
  2. Kiani, A. K. et al. (2022). Main nutritional deficiencies. Diese Übersichtsarbeit im Journal of Preventive Medicine and Hygiene beleuchtet spezifische Makro- und Mikronährstoffmängel und das Konzept des „versteckten Hungers“ auch in Industrieländern. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9710417/
  3. Dent, E. et al. (2023). Malnutrition in older adults. Ein aktueller Review in The Lancet, der die besondere Gefährdung älterer Menschen und die Lücke zwischen Evidenz und klinischer Praxis aufzeigt. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)02612-5/fulltext
  4. NHS (2023). Malnutrition – Symptoms. Die britische Gesundheitsbehörde NHS beschreibt laienverständlich die wichtigsten Symptome und Warnzeichen einer Mangelernährung. https://www.nhs.uk/conditions/malnutrition/symptoms/
  5. van Dronkelaar, C. et al. (2023). Malnutrition Screening Tools Are Not Sensitive Enough to Identify Older Hospitalized Patients. Eine Studie, die die Validität gängiger Screening-Tools kritisch hinterfragt und auf diagnostische Lücken hinweist. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38140387/
  6. Berger, M. M. et al. (2022). ESPEN micronutrient guideline. Die Leitlinie der europäischen Fachgesellschaft gibt evidenzbasierte Empfehlungen zur klinischen Anwendung von Mikronährstoffen. https://www.espen.org/files/ESPEN-Guidelines/ESPEN_micronutrient_guideline.pdf
  7. Gomes, F. et al. (2019). Association of Nutritional Support With Clinical Outcomes Among Medical Inpatients Who Are Malnourished or at Nutritional Risk. Eine große Meta-Analyse, die den Nutzen von Ernährungsunterstützung im Krankenhaus belegt. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6902795/
  8. Persaud-Sharma, D. et al. (2022). Refeeding Syndrome. Ein Fachartikel aus StatPearls, der die Pathophysiologie und die Gefahren des potenziell tödlichen Refeeding-Syndroms detailliert beschreibt. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK564513/